Wer ein Segelboot fährt, der weiß: Ohne Wind geht gar nichts. Den Segler sind auf den Wind als Antriebskraft angewiesen. Daher dürfte man doch eigentlich auch nur so schnell segeln können, wie der Wind bläst. Aber natürlich kommt dabei immer wieder die Frage auf: Kann man schneller als der Wind segeln?
Die Antwort mag Laien verblüffen, aber ausgebuffte Segler wissen es schon lange: Ja, man kann schneller als der „wahre“ Wind segeln. Dafür muss das Segelboot den Wind schräg von vorne treffen. Zudem muss der Luftwiderstand des Segels verringert werden – und das schafft man, indem der „Druck“ auf das Segel erhöht wird. Allerdings spielen auch weitere Faktoren eine Rolle, wie die Größe und Form des Segels, das Material und natürlich auch die Form und das Material des Bootrumpfes.
Das war in aller Kürze die Antwort auf die Frage, ob man schneller als der Wind segeln kann. Und so schnell wie der Wind weht, haben Sie auch schon das Wichtigste erfahren. Allerdings wollen wir der Frage noch ein bisschen weiter auf den Grund geben und der Antwort ein bisschen Tiefgang geben – denn dahinter steckt mehr als ein laues Lüftchen, sondern hochinteressante Physik. Lesen Sie den Artikel daher auf jeden Fall bis zum Schluss!
Kann man schneller als der Wind segeln?
Segeln macht doppelt Freude: Denn als Besitzer eines Segelboots und passionierter Segler ist man nicht nur mit dem Element Wasser verbunden, sondern auch mit dem des Windes. Dabei kommt der eine oder andere schon mal ins Grübeln – und auch als Nicht-Segler stellt man sich mitunter mal die Frage, ob es überhaupt möglich ist, schneller als der Wind zu segeln.
Und tatsächlich ist es möglich, mit einem Segelboot schneller als der Wind zu segeln. Das mag überraschend klingen, denn schließlich könnte man ja denken, dass der Wind quasi wie „eine unsichtbare Hand“ das Boot über die Wellen schiebt. Ganz so einfach ist es aber doch nicht, denn beim Segeln spielen komplexe, physikalische Vorgänge eine wichtige Rolle. Damit man aber schneller als der Wind segeln kann, muss man folgende Punkte beachten:
- Welchen Kurs hat der Wind – in welchem Winkel segelt man?
- Welche Form hat das Segel?
- Wie groß ist das Segel?
- Aus welchem Material besteht das Segeltuch?
- In welchen Winkel stellt man das Segel?
- Wie ist der Bootsrumpf beschaffen?
Gehen wir nun auf die einzelnen Punkte genauer ein.
Wie kann man schneller als der Wind segeln?
Der wichtigste Faktor ist sicherlich, in welchem Winkel man zum Wind segelt. Doch dazu zunächst etwas Theorie zum Segeln
Scheinbarer Wind
Dieser Begriff aus der Segelwelt ist wichtig, wenn wir verstehen wollen, wie man schneller als der Wind segeln kann. Dabei wird unterschieden zwischen „wahrem Wind“ und dem „scheinbaren Wind“. Auch der Fahrtwind ist entscheidend.
Der wahre Wind ist der Wind, der tatsächlich herrscht – den gibt es also auch auf dem Land, wenn sich nichts bewegt. Er bezeichnet die Windgeschwindigkeit des meteorologischen Windes.
Anders verhält es sich beim Fahrtwind. Er entsteht nur, wenn sich etwas bewegt bzw. in Fahrt ist. Wir spüren ihn zum Beispiel, wenn wir mit dem Fahrrad fahren. Er ist immer so schnell, wie sich das Fahrzeug bewegt – allerdings genau in entgegengesetzter Richtung zur Fahrt. Daher sprechen wir auch vom „Gegenwind“.
Beim scheinbaren Wind handelt es sich um den Wind, den das Segelboot wahrnimmt. Dabei wirken der wahre Wind und der Fahrtwind miteinander. Es kommt zu einer Vektoraddition. Wem das zu unverständlich klingt, für den haben wir hier eine exzellente Grafik, die wir aus der vortrefflichen Wikipedia genommen haben:
Wie muss das Segelboot zum Wind stehen?
Mit diesem Wissen im Hinterkopf können wir uns jetzt der eigentlichen Frage widmen: Wie man schneller als der (wahre) Wind segeln kann. Dazu aber dieses Mal eine Grafik vorweg:
Zuallererst ist es grundlegend wichtig zu verstehen, dass Segelboote stets im Zusammenspiel von scheinbarem Wind, einer Kombination aus wahrem Wind und Fahrtwind, unterwegs sind. Ein Anstieg der Fahrtwindgeschwindigkeit führt zwangsläufig zu einer Erhöhung des scheinbaren Winds.
Zusammenspiel aus den Winden
Um zu ergründen, wie es Segelbooten gelingt, Geschwindigkeiten zu erreichen, die schneller sind als die Windgeschwindigkeit, müssen wir uns eingehend mit den Kräften auseinandersetzen, die auf das Boot einwirken. Sobald der Wind auf das Segel trifft, erzeugt er eine Vorwärtskraft, die das Boot vorantreibt. Hierbei spielt der Unterschied in der Luftströmungsgeschwindigkeit auf der Luv- und Leeseite des Segels eine maßgebliche Rolle (Venturi-Effekt). Aufgrund der stärkeren Luftströmung auf der Leeseite des Segels, wo der Luftdruck geringer ist, wird das Segel nach vorne gezogen. Diese Kraft bezeichnen wir üblicherweise als “Segeldruck”.
Abgesehen von dieser Kraft gibt es eine weitere wesentliche Komponente: Wenn das Segelboot gegen den Wind fährt, erzeugt es einen Luftwiderstand, da es gegen den Wind drückt. Der Luftwiderstand wirkt der Vorwärtskraft des Segels entgegen. Wenn das Boot jedoch einen Winkel zur Windrichtung einnimmt, reduziert sich der Luftwiderstand, da er nicht mehr direkt gegen den Wind drückt. Das bedeutet, dass der Segeldruck das Boot mit höherer Geschwindigkeit vorwärtsbringen kann, ohne dass der Luftwiderstand zu stark wird. Die entscheidende Grenze tritt ein, wenn der Luftwiderstand mit zunehmender Geschwindigkeit stärker wird als die Vorwärtskraft des Segels – an diesem Punkt endet die Beschleunigung.
Um es zusammenzufassen: Ein Boot kann dann schneller als der Wind segeln, wenn es schräg zum „wahren“ Wind steht. Durch den Winkel des Segels und der Segelrichtung wird eine Vorwärtskraft erzeugt, die größer als die Rückwärtskraft des Luftwiderstands ist.
Form und Größe des Segels
Dazu kommen noch weitere Punkte, die dazu beitragen, dass ein Boot schneller als der Wind segeln kann:
- Welche Form hat das Segel: Segel ist nicht gleich Segel. Moderne Segelboote verwenden solche mit einer gekrümmten Form, die den Luftstrom besser kontrollieren können. Diese ermöglichen es, einen stärkeren Druck zu erzeugen, der das Boot schneller antreiben kann. Eine geschickte Kontrolle des Luftstroms ist entscheidend, da sie die Effizienz des Antriebsmechanismus beeinflusst und das Boot in die Lage versetzt, schneller als der Wind zu segeln.
- Größe des Segels: Es ist schon wahr: Size does matter. Die Größe des Segels ist ein weiterer entscheidender Faktor. Ein größeres Segel erzeugt mehr Druck und kann das Boot schneller antreiben. Allerdings birgt dies auch die Herausforderung, ein größeres Segel unter Kontrolle zu halten, insbesondere bei starkem Wind. Es erfordert Geschick und Erfahrung, um die Balance zwischen Größe und Beherrschbarkeit des Segels zu finden.
- Aus welchem Material besteht das Segeltuch? Auch das ist ein wichtiger Faktor. Ein eher leichtes Segeltuch ermöglicht einen besseren Durchlass des Luftstroms und reduziert den Luftwiderstand. Dadurch kann das Boot schneller vorankommen, da es weniger Energie benötigt, um gegen den Widerstand der Luft anzukämpfen.
- Der Anstellwinkel des Segels: Der Anstellwinkel des Segels, also der Winkel zwischen dem Segel und dem Wind, spielt eine entscheidende Rolle bei der Beeinflussung der erzeugten Kraft. Wenn der Anstellwinkel zu flach ist, erzeugt das Segel nicht genügend Druck, um das Boot schneller als der Wind zu bewegen. Ein zu steiler Winkel erhöht hingegen den Luftwiderstand, was zu Geschwindigkeitsverlust führt. Der optimale Kurs für schnelles Segeln ist ein Raumschotskurs, bei dem der Wind von der Seite einströmt.
- Wie ist der Bootsrumpf gestaltet? Eines ist klar: Mit einem Klotz kann man nicht schneller als der Wind segeln. Ein schlanker Rumpf erzeugt weniger Wasserwiderstand und ermöglicht dem Boot, schneller zu segeln als ein Boot mit einem breiteren Rumpf. Ein geringerer Wasserwiderstand bedeutet, dass das Boot mit weniger Energieverlust durch das Wasser gleitet und somit höhere Geschwindigkeiten erreichen kann.
Et voilá – da haben wir es: Man kann schneller als der Wind segeln, wenn man ein paar Punkte berücksichtigt. Wir wünschen viel Spaß beim Ausprobieren – oder einfach nur beim Angeben mit dem Wissen beim nächsten Seglertreffen ;).